Warum tut Polyneuropathie weh?
- von Christian Bitzer
Weniger Signale und trotzdem Schmerzen? Warum tut Polyneuropathie weh?
Bei Polyneuropathie kommt es zu Schäden in den Nerven, was dazu, führt dass weniger Signale aus der Peripherie (meist Hände und Füße) zum Gehirn gelangen.
Dass dadurch Schmerzen entstehen ist etwas paradox. Denn eigentlich sollten weniger Signale doch einfach weniger Gefühl bedeuten und nicht mehr Schmerzen.
Außerdem kommt es recht häufig vor, dass die Polyneuropathie tatsächlich keine Schmerzen verursacht, sondern einfach dazu führt, dass man die Zehen, Füße und Fingerspitzen einfach nicht mehr wahrnimmt. Wieso kommt es bei Menschen mit ein und derselben Erkrankung zu völlig gegensätzlichen Symptomen?
Ich gehe in diesem Artikel deshalb der Frage nach: "Warum tut Polyneuropathie weh?"
Einen sehr ausführlichen Artikel zur Selbsthilfe gegen die Schmerzen finden Sie hier: Schmerzen bei Polyneuropathie und was Sie dagegen tun können.
Das Gefühl entsteht im Gehirn
Um zum Beispiel eine Berührung in den Zehenspitzen zu spüren, muss dieser Druck in den Zehen von einem Nerv wahrgenommen werden. Er meldet seine Wahrnehmung weiter, indem er ein Signal an das Geihrn sendet.
Dort gibt es für jeden Nerv und jedes Körperteil ein Areal, das die Signale empfängt und interpretiert. Durch diese Interpretation entsteht das Gefühl, das wir als Berührung empfinden. Diese Interpretation entscheidet auch darüber, wie sich eine Berührung genau anfühlt.
Ob man eine Berührung als leichtes Streicheln oder starken Druck empfindet, als Kitzeln oder Kratzen, hängt davon ab, wie die Signale aus den Nerven im Gehirn interpretiert werden.
Schmerzen entstehen im Gehirn, nicht in den Füßen!
Polyneuropathie wirkt sich im Gehirn aus!
Wenn ein Nerv durch die Polyneuropathie geschädigt wird, sendet er missverständliche Signale an das Gehirn.
Das heißt, wenn bisher zum Beispiel eine leichte Berührung gemeldet wurde, wird dieses Signal jetzt durch die Nervenschäden gestört und verändert. Was noch im Gehirn ankommt, kann nicht mehr wie bisher eindeutig interpretiert werden, weil die Datenübertragung unterwegs gestört wird.
Es ist so ähnlich, wie wenn beim Handy- oder Radioempfang Störungen auftreten: Der Empfänger versteht das Signal nicht mehr und statt einem klaren Ton kommt nur noch Knacken und Rauschen an.
Überempfindliche Hirnareale verursachen Schmerzen
Das Nervensystem reagiert darauf, indem es den Empfänger empfindlicher einstellt. Die Hirnareale, die die Signale aus dem geschädigten Nerv empfangen und interpretieren werden im Wortsinn empfindlicher. Sie entwickeln eine höhere Grundaktivität, es wachsen dort mehr Nervenzellen und die Reaktion auf die Nervensignale wird verstärkt.
Das hat die unangenehme Folge, dass normale alltägliche Reize übertrieben stark empfunden werden und Schmerzen auslösen. Deshalb tun beispielsweise zu raue Socken oder leichte Berührungen weh.
Wenn Sie Schmerzen haben sobald Ihre Füße den Boden berühren oder schon die Bettdecke auf Ihren Füßen einen schmerzhaften Druck auslöst, liegt das also nicht nur an den Problemen in den Füßen, sondern insbesondere auch im Gehirn.
Das Gleiche gilt übrigens, auch wenn Sie Hitzeempfinden, Kribbeln oder andere MIssempfindungen haben:
Die Polyneuroopathie macht auch im Gehirn Probleme, nicht nur in den Händen oder Füßen!
Wenn Sie mehr zum Thema nachlesen möchten, finden Sie hier eine wissenschaftliche Studie, die die Zusammenhänge beschreibt: Domingues et al. 2018
Wer das Gehirn trainiert hat weniger Schmerzen
Wer das Gehirn trainiert, verbessert die Polyneuropathie!
Das ist auch der Grund dafür, dass es wenig bringt, die Füße oder die Hände zu behandeln. Man kann zwar eine Linderung erreichen, indem man Fußbäder und Cremes benutzt oder sonstige Wellnessbehandlungen anwendet. Das hilft aber nur kurzfristig, die Schmerzen werden trotzdem zurück kommen.
Ein bessere Möglichkeit um die Missempfindungen in den Griff zu bekommen ist, das Gehirn zu trainieren um die Überempfindlichkeit zu reduzieren. Dazu ist Balance Training hervorragend geeignet. Das heißt nichts anderes, als das Gleichgewicht zu trainieren.
Denn um das Gleichgewicht sicher zu halten, müssen Sie Ihren Körper dauernd wahrnehmen und genauestens spüren. Außerdem müssen Sie auf die Empfindungen wie zum Beispiel den Druck an Ihren Fußsohlen angemessen reagieren. Dadurch wird die Wahrnehmung des Körpers verbessert und die Abläufe im Gehirn effizienter.
Das Gleichgewicht zu halten ist eine der kompliziertesten Aufgaben, die wir im Alltag bewältigen - auch wenn uns das häufig nicht bewusst ist. Es ist dazu notwendig, alle Körperteile, ihre Lage zueinander und die Spannung der Muskeln mit höchster Genauigkeit wahrzunehmen, zu bewerten und angemessen zu reagieren.
Das heißt, um das Gleichgewicht zu halten, müssen dauernd Signale aus dem Körper aufgenommen, weitergeleitet und interpretiert werden.
Dies führt dann ganz konkret zu weniger Schmerzen.
Praktische Übungen dazu finden Sie hier: Schmerzen bei Polyneuropathie und was Sie dagegen tun können
87 % der Patienten berichten nach einem Training von weniger Schmerzen und Missempfindungen
nach Streckmann et al. 2014
Training gleicht die Nervenschäden aus
In einer Studie an der Universität Freiburg wurde ein solches Gleichgewichtstraining mit Menschen, die an Polyneuropathie litten ausprobiert (Hier die Studie zum nachlesen Streckmann et al. 2014).
Durch das Training verbesserte sich wie erwartet das Gleichgewicht der Patienten. Was aber viel wichtiger ist: 87,5% der Patienten berichteten von weniger Symptomen der Polyneuropathie. Das heißt: die Schmerzen und Missempfindungen wurden besser! In der Kontrollgruppe, die nicht trainierte, berichtete im gleichen Zeitpunkt kein einziger Patient von einer Verbesserung der Symptome.
Übrigens wurde nachgemessen, ob sich die Nerven in den Beinen der Patienten erholten. Dazu wurde die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen, an der Neurologen erkennen können, wie stark ein Nerv geschädigt ist. Die Messungen zeigten durch das Training keine Veränderung.
Das bedeutet: Die Verbesserung der Symptome entstand nicht in den geschädigten Nerven in den Füßen oder Händen, sondern im Gehirn!
Das Gehirn ist das anpassungsfähigste Organ!
Das sind hervorragende Nachrichten. Denn es bedeutet, dass sich die Nervenschäden, die in den Füßen oder Händen entstehen ausgleichen lassen, indem man das Gehirn trainiert.
Denn es gibt leider immernoch kaum Möglichkeiten, um die Nerven zu heilen, die bei der Polyneuropathie Schaden nehmen. Wenn es aber gelingt, die "Datenverarbeitung" im Gehirn zu verbessern, kann man also trotzdem die Schmerzen reduzieren!
Überraschend einfache Übungen
Wenn Sie jetzt vermuten, ein solches Training sei hochkomplex und schwierig umzusetzen kann ich Sie beruhigen.
Das Gleichgewicht zu trainieren ist kinderleicht. Man kann ein solches Training problemlos selbständig zu Hause durchführen - wenn man weiß wie es geht.
Wichtig ist vor allem, den richtigen Schwierigkeitsgrad zu wählen. Denn selbstverständlich kann jemand, der am Rollator geht, nicht auf dem gleichen Niveau trainieren wie ein gesunder fitter Mensch.
Auf meiner Seite "Übungen bei Polyneuropathie" finden Sie zahlreiche Übungen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden zum Ausprobieren. Außerdem finden Sie alle nötigen Hintergrundinformationen um gleich loszulegen. Noch spezifischere Anleitungen zum Training gegen die Schmerzen finden Sie hier: Schmerzen bei Polyneuropathie und was Sie dagegen tun können.
Sie können sich auch ein kleines Büchlein mit einer Übungsanleitung oder sogar ein ganzes Trainingsset bei mir bestellen.
Muskelschmerzen und Nervenschmerzen verstärken sich gegenseitig
die Schmerzen bei Polyneuropathie kommen häufig aus den Muskeln!
Sehr häufig werden die Schmerzen allerdings nicht nur von den Nerven ausgelöst - auch wenn man an Polyneuropathie leidet. Denn zu den Schmerzen, die die Nervenschäden bewirken kommen sehr häufig noch Schmerzen aus den Muskeln hinzu. Muskeln die verkrampft sind können unglaubliche Schmerzen verursachen.
Das haben die meisten schon am eigenen Leib erfahren. Was nicht jeder weiß ist, dass Muskelverkrampfungen sich in manchen Fällen nicht mehr auflösen können und dauerhaft Schmerzen verursachen. Und das ohne dass man wahrnimmt, dass noch ein Muskelkrampf besteht.
Denn es handelt sich um kleinste Verkrampfungen, die oft so klein sind wie ein Stecknadelkopf. Trotzdem können sie gewaltige Schmerzen in ganzen Körperteilen verursachen. Man nennt das medizinisch das Myofasziale Schmerzsyndrom und es ist eine der häufigsten Schmerzursachen überhaupt.
Ausstrahlende Schmerzen aus den Muskeln
Diese Problematik entsteht besonders häufig, wenn das Zusammenspiel zwischen Muskeln und Nerven nicht mehr richtig funktioniert und die Muskeln überlastet werden. Das ist bei Polyneuropathie besonders häufig der Fall. Ein Grund dafür, warum die Polyneuropathie wehtut ist also, dass die Nervenschäden Probleme in der Muskulatur nach sich ziehen.
Sehr sehr häufig ist das Nervensystem dabei nicht in der Lage ist, die Schmerzen dem richtigen Areal zuzuordnen. Der Schmerz wird dann an einer anderen Stelle empfunden als die eigentliche Problematik sitzt - ein ausstrahlender Schmerz entsteht.
Das passiert besonders häufig bei Muskeln im Unterschenkel. Die dort ausgelösten Schmerzen werden dann oft in den Füßen empfunden. Beispielsweise verursachen Probleme im langen Zehenbeuger (M. Flexor Digitorum) häufig Schmerzen in den Zehen, obwohl der Muskel selbst in der Wade liegt.
Nerven- und Muskelschmerzen sind nicht zu unterscheiden
Ob die Schmerzen die Sie empfinden von Nervenschäden oder von Muskelproblemen verursacht werden lässt sich leider praktisch nicht unterscheiden. Denn Ihr Nervensystem sagt Ihnen nur dass Schmerzen da sind, nicht welche Struktur sie aussendet. Meine persönliche Erfahrung ist allerdings, dass bei fast allen Patienten mit Polyneuropathie eine zusätzliche Muskelproblematik besteht.
Das ist eigentlich eine erfreuliche Nachricht. Denn wie man die Funktion der Muskulatur verbessern kann wissen wir ja - durch Training. Wenn also schon die Nerven nicht geheilt werden können, so kann man doch wenigstens an den Muskeln arbeiten.
Muskeln werden bei Polyneuropathie meist nicht beachtet
Leider denken die wenigsten daran, dass man auch an den Muskeln arbeiten könnte, wenn man an Polyneuropathie leidet. Denn die Polyneuropathie ist nun einmal eine Nervenerkrankung und der Zusammenhang mit den Muskeln ergibt sich erst auf den zweiten Blick.
Deshalb wird man als Patient sehr selten darauf hingewiesen, dass eine Behandlung der Muskeln mit den Schmerzen helfen kann, auch wenn dadurch die Polyneuropathie nicht geheilt wird.
Lernen Sie, sich selbst zu helfen!
Hinzu kommt, dass die Muskelproblematik nicht mit einem Medikament oder ein paar Handgriffen gelöst werden kann. Es ist zwar möglich, die Muskeln mit Training, Dehnung und Massage zu behandeln, allerdings ist die Behandlung aufgrund der Nervenschäden bei Polyneuropathie wesentlich aufwendiger und schwieriger als bei anderen Patienten.
Deshalb ist es für Therapeuten sehr schwierig, echte Fortschritte zu erzielen. Insbesondere weil die Zeit fehlt und die Therapiesitzungen zu kurz dauern. Die beste Lösung ist es deshalb, zu lernen was man selbst für sich tun kann und sich selbst zu helfen.
In meinem Schmerzfrei-Set finden Sie deshalb die Übungsanleitung "Bewegung bei Polyneuropathie" mit zahlreichen Übungen für das Training des Gleichgewichts und des Körpergefühls. Außerdem enthält es ein BitzerPad, mit dem man das Gleichgewicht noch intensiver trainieren kann. Für die Behandlung der Muskeln erhalten Sie das Buch "Fußschmerzen selbst behandeln", indem die Massage und Dehnung aller relevanter Muskeln der Füße und Unterschenkel beschrieben ist.
Mit dem Schmerzfrei-Set erhalten Sie also alles was Sie brauchen, um sich selbst gegen die Schmerzen bei Polyneuropathie zu helfen.