Vibrationstraining bei Polyneuropathie

Vibration kann helfen - wenn man sie richtig anwendet

Vibrationstraining wird bei Polyneuropathie immer wieder empfohlen. Das Training kann helfen, allerdings müssen einige Dinge beachtet werden. Denn Training mit Polyneuropathie funktioniert anders als das in Fitnesstudios gängige Vibrationstraining. Das "normale" Vibrationstraining, wie es üblicherweise im Breitensport angewendet wird, bringt bei Polyneuropathie nicht die optimalen Wirkungen und kann zu Überlastung führen.

Was ist Vibrationstraining?

Beim Vibrationstraining stellt man sich meist auf eine vibrierende Platte. Es gibt verschiedene Arten der Vibration, die beiden gängigsten sind Systeme, bei denen die Platte quasi hin und her wippt (seitenalternierend), und Systeme, bei denen sich die Platte auf und ab bewegt. Es gibt noch weitere Systeme, beispielsweise solche, die eine leichte Rotation mit einbauen.

Die starke Vibration stellt einen starken Reiz für den Körper dar und kann gewisse Trainingseffekte bewirken. Der im Fitnessbereich am häufigsten angestrebte Effekt ist, dass durch die Vibration Reflexe ausgelöst werden, die kleine Muskelzuckungen verursachen, wodurch die Muskelkraft steigen soll. Deshalb stellt man sich auf die Platten und macht häufig noch weitere Übungen darauf. Außerdem sollen die Muskeln nach dem Training besser von den Nerven aktiviert werden können.

Dadurch sollen Trainingseffekte auf Muskelkraft- und Größe ausgelöst werden. Tatsächlich wurden (kleine) Verbesserungen der Muskelkraft beobachtet, wenn man auf Vibrationsgeräten trainiert. Allerdings sind die Effekte umso kleiner, je fitter man ist. Als reine Fitnessübung für Gesunde Sportler ist der Effekt von Vibrationstraining also sehr begrenzt und wird oft übertrieben dargestellt (Studien dazu finden Sie hier: (Rogan et al. 2015; Cochrane et al. 2004). Für Patienten mit Polyneuropathie scheinen die Aussichten aber besser zu sein.

Umfassende Trainingsanleitung für Menschen mit Polyneuropathie

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Vibrationstraining wirkt positiv auf das Nervensystem

Die Vibration bewirkt nämlich besondere Effekte im Nervensystem. Denn während die Effekte auf die Muskulatur nicht sonderlich groß sind, hat die Vibration dort eine stärkere Wirkung. Die Vibration stellt einen sehr intensiven Reiz für das Nervensystem dar, was jeder der sich auf ein Vibrationsgerät stellt sofort wahrnehmen kann. Verschiedene Arten von Nervenzellen in den Extremitäten werden gereizt und senden ein Feuerwerk von Informationen an das zentrale Nervensystem. Als Folge davon werden verschiedene Botenstoffe ausgeschüttet, die im Nervensystem Anpassungen hervorrufen. Dadurch scheinen Synapsen besser zu funktionieren und ein Schutz vor Schäden des Nervensystems zu entstehen. Dadurch wurde sogar eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten in Tierversuchen festgestellt (Cariati et al. 2022). Regtershot et al. (2014) beobachteten auch bei Menschen Verbesserungen bei verschiedenen Denkaufgaben. Allerdings ist nicht ganz klar, wie diese Effekte zustande kommen und wie groß sie tatsächlich sind.

Man kann aufgrund dessen vermuten, dass Vibrationstraining zu einer Verbesserung der Nervenfunktion führt, die auch bei Polyneuropathie positive Effekte hat. Auch dies wurde in wissenschaftlichen Studien untersucht.

 

Wie Vibrationstraining bei Polyneuropathie wirkt

In der Forschung wurde eine Verbesserung der Schmerzen bei Patienten, die aufgrund einer Chemotherapie Polyneuropathie entwickelten beobachtet (Verhulst et al. 2015). Streckmann et al. (2019) verglichen die Wirkung des Vibrationstrainings mit der Wirkung von Gleichgewichtstraining. Vibrationstraining führte hier zu einer Reduktion der Schmerzen, allerdings zeigte sich auch, dass das Gleichgewichtstraining bessere Effekte für die Mobilität und die Gangsicherheit bewirkte als das Vibrationstraining. Übungen für das Gleichgewicht finden Sie hier: Übungen bei Polyneuropathie.

Auch mit Menschen mit diabetischer Polyneuropathie wurden Studien zum Vibrationstraining durchgeführt. Auch hier wurden Verbesserungen der Schmerzen nach Vibrationstraining beobachtet (Kessler et al. 2015; Robinson et al. 2018). Allerdings ist die Qualität der Studien nicht so gut, dass sich eine klare Aussage darüber treffen lässt, wie groß die Effekte tatsächlich sind. Außerdem liegen zu anderen Formen der Polyneuropathie als den durch Diabetes und Chemotherapie verursachten keine, Studien vor.

Ich gehe aufgrund der vorliegenden Studien und meiner eigenen Erfahrungen davon aus, dass Schmerzen und Missempfindungen bei Polyneuropathie durch Vibrationstraining etwas gemildert werden. Bei meinen eigenen Patienten habe ich allerdings beobachtet, dass die Wirkung nicht ausgesprochen stark ist. Jedoch ist für viele bereits die kleineste Verbesserung wilkommen, sodass ich empfehlen würde das Vibrationstraining selbst auszuprobieren, wenn man Zugang zu einem Gerät hat.

Die langfristigen Effekte des Vibrationstrainings bei Poylneuropathie wurden außerdem noch nicht untersucht. Bisher liegen nur Studien zum Training über einige Wochen vor. Es ist durchaus denkbar, dass das Training mit Vibration über lange Zeit größere Effekte hat.

Polyneuropathie-Patienten brauchen anderes Vibrationstraining

In vielen Fitnesstudios wird Vibrationstraining als eine Art von Fitnesstraining angewendet. Die Form, in der es dazu angewandt wird, ist allerdings für Patienten mit Polyneuropathie nicht geeignet. Im Fitnesstraining wird meistens eine Dauer von 10-15 Minuten angewandt und auf der vibrierenden Platte Übungen gemacht. Für Patienten mit Polyneuropathie ist das allerdings nicht sinnvoll.

Das Ziel des Trainings ist es bei Polyneuropathie, die Nerven zu stimulieren und nicht, Muskeln zu aktivieren. Deshalb reicht es, sich einfach auf die Platte zu stellen, oder sich sogar neben die Platte auf einen Stuhl zu setzen und die Füße darauf zu stellen. Im Sitzen oder Stehen ohne zusätzliche Bewegungen scheint die Wirkung sogar größer zu sein, als wenn man gleichzeitig Übungen macht. Es ist also besser, während einer Trainingseinheit erst das Vibrationstraining abzuschließen bevor man mit Kraftübungen weitermacht. Beides gleichzeitig zu machen ist kontraproduktiv.

Das Training sollte außerdem immer nur kurz dauern. Die Vibration sollte immer nur 1 Minute angewandt werden, dann sollte man mindestens 1 Minute Pause machen, bevor man weiter macht. Man kann dies dann mehrmals wiederholen. Wenn man die Vibration zu lange am Stück anwendet, kann das zu Überlastungen und Muskelverspannungen führen, die die Beschwerden sogar noch verschlimmern.

Wie stark sollte die Vibration sein?

Wenn man neu mit dem Vibrationstraining beginnt, sollte man mit langsamen Schwingungen beginnen und diese mit der Zeit langsam steigern. Wenn man sofort mit hohen Vibrationsfrequenzen anfängt, besteht die Gefahr sich zu überlasten.

Die Vibrationsfrequenz, bei der in der vorliegenden Forschung die stärksten Effekte gemessen wurden ist 30 Hz (Shantakumari & Ahmed 2023). Diese sollte nach ein paar Wochen Training eingestellt werden, wenn man zuvor bei niedrigeren Frequenzen keine Symptome von Überlastung wie zum Beispiel Muskelverspannungen oder Kopfschmerzen bemerkt hat.

Leider ist es relativ schwer herauszufinden, mit welcher Frequenz eine Platte schwingt, weil die meisten Geräte keine Anzeige in Hz besitzen. Allerdings sind 30 Hz eine recht hohe Frequenz. Denn 30 Hz bedeutet, dass die Platte sich mit einer Frequenz von 30 Schwingungen pro Sekunde bewegt. Bei den meisten Geräten dürfte das im schnellsten Bereich dessen sein was die Platte schafft. Die gängigsten Geräte von Galileo schaffen zum Beispiel maximal 36 Hz (hier nachzulesen: Galileo-training.com), die einzige mir bekannte Platte, die schneller schwingen kann, ist die PowerPlate mit bis zu 50 hz (powerplate-emp.ch).

Die Geräte von Power Plate und Galileo kosten allerdings einige tausend Euro und benötigen viel Platz, sodass sie nur für wenige Patienten als Gerät für zu Hause in Frage kommen. Falls man ein billigeres Gerät für den Hausgebrauch anschaffen will, sollte man prüfen, ob es eine ausreichende Frequenz schafft. Leider werden bei vielen Geräten keine Frequenzen angegeben, sodass es sich sehr schwierig gestaltet, ein passendes Gerät auszuwählen.
Bei den meisten einfachen Geräten für den Heimgebrauch muss man meistens die schnellstmögliche Vibrationsfrequenz einstellen, um in die Nähe von 30 Hz zu kommen.

Wie oft kann man trainieren?

Wenn man die Vibration wie empfohlen anwendet und immer nach einer Minute Vibration eine Pause von einer Minute macht, kann man in den meisten Fällen ein tägliches Training durchführen. Denn das Nervensystem erholt sich relativ schnell von der Belastung. Sollten Sie sich besonders schwach fühlen, Muskelverspannungen oder Kopfschmerzen wahrnehmen, ist es natürlich sinnvoll längere Pausen einzuhalten.

Wie lässt sich Vibrationstraining mit anderen Trainings- und Therapiemethoden kombinieren?

Bei Polyneuropathie sind außer Vibrationstraining auch Gleichgewichtstraining, Massage und Dehnung, sowie Krafttraining und Ausdauersport sinnvoll. Alle diese Methoden wirken auf ihre Weise und haben positive Effekte. Wenn Sie die verschiedenen Methoden kombinieren möchten, ist es wahrscheinlich am erfolgversprechendsten, zuerst mit dem Vibrationstraining das Nervensystem zu aktivieren, bevor man andere Trainingsmethoden anwendet. Das Vibrationstraining kann dann quasi als Aufwärmen eingesetzt werden.

Wenn man aufgrund eines anderen Trainings Muskelkater hat, kann man das Vibrationstraining am Tag einer Trainingspause dennoch anwenden. Allerdings sollte dann besonders darauf geachtet werden, die Vibration nicht zu lange anzuwenden um eine Überlastung zu verhindern.

Methoden die ebenfalls helfen

Wenn Sie keinen Zugang zu einer Vibrationsplatte haben empfehle ich, zunächst mit anderen Methoden zu beginnen, die kostengünstiger und wirksamer sind als Vibrationstraining.

Diese sind vor allem: Massage und Dehnung der Muskulatur, Gleichgewichtstraining und Krafttraining. Außerdem sollte man unbedingt trotz der Polyneuropathie Ausdauertraining betreiben. Anleitungen zu diesen Trainingsformen finden Sie hier:

Massage und Dehnung bei Polyneuropathie

Selbsthilfe gegen Schmerzen bei Polyneuropathie

Übungen bei Polyneuropathie

Krafttraining bei Polyneuropathie

5 Dinge die gegen Polyneuropathie helfen

Ernährung bei Polyneuropathie

Trainingsanleitung für Menschen mit Polyneuropathie

In meinem Buch "Bewegung bei Polyneuropathie" finden Sie ein komplettes Trainingsprogramm für Gleichgewicht, Kraft und Ausdauer bei Polyneuropathie um die Mobilität zu erhalten und Schmerzen zu reduzieren.

Wann man kein Vibrationstraining machen sollte

Es gibt medizinische Gründe, aus denen Vibrationstraining vermieden werden sollte:

  • Akute Verletzungen, Überlastungserscheinungen oder Entzündungen
  • Frische Operationen
  • Infekte mit Fieber
  • Schwindel oder Kopfschmerzen
  • 24 Stunden nach Gabe der Chemotherapie
  • Künstliche Gelenke
  • Schwangerschaft
  • Akute Thrombosen

Falls während der Chemotherapie die Blutplättchen unter 20 000 sinken sollten, sollte man nur im Sitzen auf einem Stuhl trainieren und die Füße auf die Platte stellen um jede Sturzgefahr zu vermeiden. Bei Blutplättchen unter 10 000 sollte man auf das Training verzichten.

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