Ist Polyneuropathie heilbar?

Ist Polyneuropathie heilbar?

Ob eine Polyneuropathie heilbar ist hängt von der Art der Polyneuropathie ab und davon wie lange sie schon besteht. Bei einigen Formen der Polyneuropathie, wie dem Guillain-Barré-Syndrom, Polyneuropathie nach Chemotherapie oder der Alkoholischen Polyneuropathie bestehen gute Chancen auf Heilung. Andere Formen, wie Diabetische Polyneuropathie und Idiopathische Polyneuropathie sind leider kaum heilbar.

Quasi jeder Patient fragt sich, ob Polyneuropathie heilbar ist, die Beschwerden und Einschränkungen also irgendwann wieder verschwinden. Eine ganz klare Antwort auf diese Frage ist oft schwierig. Meist hängt es davon ab, welche Form der Polyneuropathie vorliegt und insbesondere, wie lange die Polyneuropathie schon besteht.

Wenn eine Polyneuropathie ganz neu auftritt, sind die Chancen auf Heilung noch relativ hoch. Die Chancen sinken aber, je länger die Krankheit besteht. Wenn eine Polyneuropathie zum Beispiel aufgrund einer Chemotherapie ganz neu aufgetreten ist und die Chemotherapie nicht sehr häufig gegeben wurde, dann besteht eine sehr gute Chance auf Besserung und Heilung. Meist verbessert sich die Polyneuropathie nach Chemotherapie innerhalb eines Jahres. Wenn die Probleme danach weiterbestehen sind die Chancen auf vollständige Heilung leider schlecht.

Dasselbe gilt beim sogenannten Guilain-Barré-Syndrom, das sehr plötzlich auftritt und sich sehr schnell entwickelt. Es kann häufig sehr gut mit Immunglobulinen behandelt werden und heilt in vielen Fällen komplett aus. Je länger die Probleme jedoch fortbestehen, desto schlechter sind die Chancen auf Besserung. Es gibt weitere Formen der Polyneuropathie, bei denen man gute Chancen auf Heilung hat. Wenn die Polyneuropathie durch Alkoholausgelöst wurde und man es schafft auf den Alkohol zu verzichten bestehen auch hier gute Heilungschancen.

Anders ist es bei chronischen Formen der Polyneuropathie. Wenn man zum Beispiel seit langer Zeit an diabetischer Polyneuropathie leidet oder an einer sich schleichend entwickelnden Idiopathischen Polyneuropathie (das ist die Form der Polyneuropathie bei der sich keine Ursache bestimmen lässt), dann sind die Chancen auf vollständige Heilung sehr schlecht.

Allerdings gibt es auch in diesen Fällen Möglichkeiten, die Symptome zu lindern und die Verschlechterung zu bremsen.

Da es wie gesagt haupsächlich auf die Art der Polyneuropathie ankommt werde ich auf verschiedene Formen der Polyneuropathie einzeln eingehen, allerdings nicht auf alle der zahlreichen Arten.

Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (Guillain-Barré-Syndrom)

Die akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie kann inzwischen recht gut behandelt werden. Das geschieht meist mit Immunglobulinen. Obwohl die Krankheit oft beängstigend schnell beginnt und innerhalb kürzester Zeit von völliger Gesundheit zur Bettlägerigkeit führt, werden sehr viele Patienten vollständig geheilt.

Ich habe selbst einen engen Bekannten, der noch als Schüler an dieser Form der Polyneuropathie erkrankte. Er war allerdings nicht viel später wieder vollständig gesund. In etwa 80% der Fälle geht die Erkrankung so glimpflich aus. Allerdings sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass etwa 20% der Erkrankten dauerhafte Schäden davontragen und die Krankheit nicht selten (bis zu 5% der Fälle) sogar zum Tod führt

Polyneuropathie durch Chemotherapie

Seit etwa 15 Jahren werden zunehmend Mittel in der Chemotherapie eingesetzt, die zwar eine bessere Wirkung gegen den Krebs haben, allerdings auch die Nerven schädigen. Das ist insbesondere bei metastasiertem Brustkrebs, aber auch anderen Krebsarten der Fall.

Maßnahmen gegen die Polyneuropathie sollten möglichst frühzeitig getroffen werden, denn je weniger ausgeprägt die Polyneuropathie ist, desto eher verschwindet sie auch wieder.

Die mit Abstand einfachste Maßnahme ist, während man die Chemotherapie als Infusion erhält Kompressions- oder Eishandschuhe zu tragen um die Hände zu schützen. Die Füße können durch Kompressionsstrümpfe oder Kühlakkus geschützt werden. Kompression und Kälte bewirken nichts anderes als den Blutfluss in Hände oder Füße zu reduzieren. Dadurch kommt auch weniger vom Wirkstoff der Chemotherapie an und kann dementsprechend dort auch nicht die Nerven schädigen. In einer Japanischen Studie wurde eine beeindruckende Schutzwirkung durch diese Methode festgestellt.

Eine ausführliche Anleitung zur Benutzung der Handschuhe finden Sie hier: Handschuhe bei Chemotherapie: Kleiner Trick, große Wirkung

 

Wichtig ist zunächst abzuklären, ob die Chemotherapie die Sie erhalten überhaupt Polyneuropathie auslösen kann. Eine Auflistung verschiedener Chemotherapie-Wirkstoffe finden Sie in der Tabelle auf der folgenden Seite: Polyneuropathie

Eine weitere sinnvolle Maßnahme ist das Training des Gleichgewichts. Durch das Training lernt das Nervensystem, die Schäden die durch die Chemotherapie entstehen auszugleichen. Patienten die ein solches Training absolvieren können sicherer Gehen und berichten von weniger Schmerzen und Missempfindungen. Auch hier ist es wichtig, möglichst frühzeitig zu beginnen. Übungen zum Selbermachen finden Sie hier: Übungen bei Polyneuropathie

Als weitere Trainingsmethode ist Vibrationstraining sinnvoll. Dabei stellt man sich auf eine vibrierende Platte. Die Vibration stellt einen sehr starken Reiz für die Nerven dar. Verschiedene Studien zeigten, dass Patienten die während der Chemotherapie Vibrationstraining absolvierten weniger starke Symptome der Polyneuropathie hatten. (Eine Beispielstudie finden Sie hier: Streckmann et al. 2018).

Vibrationstraining ist allerdings nicht gleich Vibrationstraining. Man will mit diesem Training die Nerven ansprechen, nicht die Muskeln. Das Training sollte also anders ablaufen als das in Fitnesstudios übliche Vibrationstraining. Dabei unterscheidet sich vor allem die Dauer. Bei einem so starken Reiz wie der Vibration ermüden die Nerven sehr schnell. Deshalb sollte man immer nur 30 Sekunden bis eine Minute auf der Vibrationsplatte verbringen bevor man eine ebenso lange Pause macht.

Übrigens scheint auch klassisches Fitnesstraining einen gewissen Effekt auf die Polyneuropathie bei Chemotherapie zu haben. Dieser ist zwar nicht ganz so groß wie der von Gleichgewichtstraining oder Vibrationstraining, allerdings trotzdem vorhanden. Das ist ein weiterer Grund dafür, während der Krebsbehandlung weiterhin körperlich aktiv zu bleiben. Mehr Infos dazu finden Sie hier: Bewegung gegen Krebs.

Nach der Chemotherapie erholen sich die Nerven oft

Im Vergleich zu anderen Formen hat die Polyneuropathie die durch Chemotherapie ausgelöst wird den entscheidenden Vorteil, dass der Auslöser der Polyneuropathie irgendwann wegfällt. Denn wenn die Chemotherapie abgeschlossen ist, werden die Nerven auch nicht mehr geschädigt und können sich erholen.

Deshalb berichten die meisten Patienten nach einer Chemotherapie davon, dass sich die Symptome langsam wieder verbessern. Allerdings ist das meist nur während des ersten Jahres der Fall. Symptome die nach mehr als 12 Monaten fortbestehen bleiben leider meistens.

Diabetische Polyneuropathie

Bei der diabetischen Polyneuropathie sind die Aussichten auf vollständige Heilung leider relativ schlecht. Auch hier ist eine Besserung allerdings nicht ausgeschlossen. Wenn der Diabetes früh erkannt und behandelt wird, lässt sich eine Polyneuropathie meist verhindern. Wenn die Polyneuropathie gerade erst beginnt und der Blutzucker schnell gut eingestellt wird, besteht die Hoffnung auf eine Besserung. Allerdings kommen die Symptome bei diabetischer Polyneuropathie oft so schleichend, dass man sie erst dann bemerkt wenn es zu spät ist. Deshalb kommt eine wesentliche Besserung der Symptome nur selten vor.

Allerdings gibt es einige Maßnahmen, die die Polyneuropathie bei Diabetes bremsen oder sogar zum Stillstand bringen können. Das heißt, man kann die Polyneuropathie bei Diabetes selten heilen, aber man kann eine Verschlimmerung verhindern.

Die wichtigste Maßnahme dazu ist offensichtlich: den Blutzucker reduzieren. Wenn sich die Langzeitwerte (Hba1c) unter 7 befinden, sind die Nerven im Grunde außer Gefahr. Dazu ist neben den richtigen Medikamenten und zuckerarmer Ernährung auch die richtige Bewegung wichtig.

Training allein kann bei Diabetes ein Wachstum von Nerven und Besserungen der Leifähigkeit der Nerven bewirken (Singleton et al. 2014Gholani et al. 2018). Damit bieten sich bei der Diabetischen Polyneuropathie bessere Möglichkeiten zur Besserung durch Training als bei den anderen Formen der Polyneuropathie.

Ausführliche Informationen und Übungen dazu finden Sie hier:

Training gegen Diabetes

Sport für Diabetiker

Polyneuropathie bei Diabetes

Mangel an Vitamin D erhöht bei Diabetikern das Risiko für Polyneuropathie

Eine weitere wichtige Rolle spielt die richtige Versorgung mit Vitaminen. Wer an Vitaminmangel und Diabetes gleichzeitig leidet, entwickelt häufiger zusätzlich eine Polyneuropathie. Das ist insbesondere für Vitamin D der Fall. Dieses ist allerdings kein Allheilmittel und sollte lediglich dann eingenommen werden wenn ein Mangel vorliegt. Vitaminpräparate zu sich zu nehmen, wenn man schon genügend Vitamine im Körper hat bringt keinen zusätzlichen Nutzen und ist eher gefährlich. Sie sollten deshalb am besten die Vitaminspiegel in Ihrem Blut messen lassen.

Ist alkoholische Polyneuropathie heilbar?

Bei der alkoholischen Polyneuropathie bestehen überraschend gute Chancen auf eine Heilung. Wenn man es schafft, vollständig auf den Alkohol zu verzichten bilden sich die Schäden oft zurück. Auch hier kommt es natürlich darauf an, wie schwer die Schäden sind und wie lange sie schon bestehen.

Möglicherweise sind bei Alkoholischer Polyneuropathie B-Vitamine hilfreich. Diese werden dem Körper durch den Alkohol entzogen, sodass es zu einem Mangel kommt. Das gilt vor allem für das Vitamin B1. Es wird vermutet, dass man die Polyneuropathie durch die Gabe von B-Vitaminen positiv beeinflussen kann. Allerdings gilt auch hier, dass es nur dann sinnvoll ist Vitamine zu sich zu nehmen wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt. Von Vitaminen mehr zu nehmen als der Körper tatsächlich benötigt bringt keinen zusätzlichen Nutzen.

Polyneuropathie unbekannter Ursache

Es gibt einige Faktoren, die eine Polyneuropathie begünstigen können, die allgemein wenig bekannt sind. Wenn Sie an Polyneuropathie unbekannter Ursache leiden, dann sollten Sie besonders auf diese Faktoren achten, um die Polyneuropathie zumindest zu bremsen, wenn auch meist nicht zu heilen.

Dass zum Beispiel Schlafapnoe eine Polyneuropathie auslösen bzw. verschlimmern kann, wissen die wenigsten. Bei der Schlafapnoe kommt es immer wieder zu Unterbrechungen des Atmens im Schlaf. Dadurch entsteht ein Sauerstoffmangel, der sich negativ auf die Nerven auswirkt. Insbesondere wer stark schnarcht und an Polyneuropathie leidet sollte sich deshalb auf Schlafapnoe untersuchen lassen. Eine Studie zum Thema können Sie hier herunterladen: Lüdemann et al. (2001)

Belastung mit Blei und anderen Giftstoffen (z.B. Lösungsmittel) kann eine Polyneuropathie auslösen und begünstigen. Wer an Polyneuropathie leidet sollte deshalb versuchen, den Kontakt mit solchen Materialien möglichst zu vermeiden. Schwermetalle können sich allerdings auch im Körper ansammeln und chronische Probleme verursachen. Bei einer akuten Vergiftung werden dagegen intravenös Medikamente gegeben, die die Schwermetallt binden und aus dem Körper befördern. Wenn man den Verdacht hat, dass sich seit langem Schwermetallt im Körper angesammelt haben kann man allerdings auch bestimmte Nahrungsmittel zu sich nehmen, die ebenfalls in der Lage sind, Giftstoffe aus dem Körper zu schaffen. Dazu sind insbesondere Knoblauch, Brokkoli und Koriander geeignet.

Man sieht hier, dass auch wenn keine Ursache der Polyneuropathie gefunden wurde eine Behandlung durchaus möglich ist. Wenn man zum Beispiel an Schlafapnoe und Vitaminmangel gleichzeitig leidet und viel Alkohol trinkt, dann bestehen schon mehrere Faktoren die eine Polyneuropathie begünstigen. Behebt man die Probleme aber, indem man ein Atemgerät zum Schlafen verwendet, die entsprechenden Vitamine zu sich nimmt und auf Alkohol verzichtet, sind die Chancen auf Besserung oder zumindest darauf, die Verschlimmerung zu stoppen wesentlich größer.